Trash-Formate
Fast habe ich schon keine Lust mehr, auf einem bestimmten Serien- und Trash-Kanal die guten, frischen Ami-Krimis anzugucken. Da wird zur Zeit so eine absurde trashige Abnehm-Show namens 'Biggest Loser' für ihren baldigen Start angekündigt.

Es scheint sich wohl um eine Gruppe von dicken Leuten in bunten T-Shirts zu handeln, die boot camp-mäßig Sport machen müssen, und wer am meisten abnimmt, hat gewonnen?

Mich graust dabei, wie diese armen Menschen vorgeführt werden. Es sind halt keine Menschen, sondern irgendwie 'andere' Blobs, bei denen die Kamera zur allgemeinen Belustigung gnadenlos auf Speckrollen und Schwabbelbäuche draufhält und der drill instructor die Körper dieser Leute allen Ernstes als 'Scheiße' bezeichnet. Sie haben jetzt schon nicht mal mehr Bäuche und Hintern, sondern sind nur noch ein amorpher Sack Scheiße. Das soll sie zum Abnehmen motivieren -- Selbsthaß und Ekel.

Das ist die Message solcher Formate -- Haß und Ekel gegenüber dem Fett anderer Leute (die eigentlich gar keine Leute sind, nicht so wie die Normalen), und heimlicher Selbsthaß und Selbstekel in jedem Zuschauer, die sich auf das (potentielle) Fett am eigenen Körper richtet. Das gilt übrigens auch für die bizarren Fett-Episoden der Samstags-Abends-Trash-Doku auf Vox. Superdicke Körper werden mit genüßlichem Ekel vorgeführt, und die Menschen selber dürfen nur eines sein: unglücklich, abnehmewillig, und voll Verzweiflung über das eigene Dasein. Sie sind auf jeden bizarr, auf jeden Fall total anders als 'wir', und namenlos eklig.

Warum also der Aufwand? Soviele Deathfatties von diesem Format gibt es doch nicht, dass die sich als Zielgruppe für eine Industrie lohnen würden, auch wenn die Zahlen über Magenamputationen furchterregend sind.

Ein alter Spruch aus dem Repertoire der Dickenhasser besagt, dass in jeder dicken Frau eine dünne steckt, die sich nach draußen kämpfen muss. Was, wenn man diese Parole umdreht?

In jeder dünnen, normalen, durchschnittlichen oder leicht kurvigen Frau steckt (so suggerieren diese Trash-Formate und jede andere Art von Anti-Fett-Werbung) eine potentielle Deathfattie, die nur darauf wartet, herauszukommen und sich auszudehen und ihr Leben zu ruinieren, und die unaufhörlich und dispzipliniert bekämpft werden muss. Wenn angeblich alle abnehmen können (was wir ja mit sowas glauben gemacht werden sollen), dann können ganz genauso gut alle zunehmen, und immer mehr zunehmen, bis sie solche entmenschlichten Blobs sind und nur noch leiden, und von der Kamera und Millionen johlender Fernsehzuschauer verhöhnt werden.

Das macht Angst -- völlig überflüssige Angst, wenn es doch so viel wesentlichere und wichtigere Dinge auf der Welt gibt, die man bekämpfen könnte.

Und durch diese Angst vor den Deathfatties, die in uns allen schlummern, wird die Zielgruppe der Abnehmindustrie schlagartig größer: alle. Absolut alle!

Ich brauche keine Brille (bis auf eine Sonnenbrille, und eine 1-Euro-Lesebrille zum Einfädeln der Nähmaschine -- bin halt nicht mehr die Jüngste), und ich bin eine überzeugte Großstädterin ohne Auto. Werbung für Optikerketten, Autos, Autoversicherungen geht an mir vorbei wie solche für Babynahrung und Hundefutter.

Wofür diese Trash-Formate zur Aufhetzung zum Dickenhass gut sind, ist, die Gruppe der Leute, an denen die Abnehmwerbung vorbeigeht, immer kleiner und kleiner zu machen. Da lebt eine wachsende Millionenindustrie im Bereich Nahrungsmittel und Gesundheit (inklusive dem Eso-Segment der 'bollocky potions from China') von, und ein Nebeneffekt ist, dass finanzielle und mentale Ressourcen gebunden werden, die woanders besser verwendet wären.

Was, wenn auch nur ein Teil dieser Leute folgende Dinge tun würden:
  • den aus 'schlechtem Gewissen' bezahlten Monatsbeitrag zu einem fast nie besuchten Fitnessstudio statt dessen bei avaaz.org für mobile Internetinfrastruktur zum Einsatz in Libyen und bei den anderen aktuellen arabischen Revolutionen zu spenden?
  • statt der 'Verfettung der Gesellschaft' die 'Gentrifizierung der Städte' zu bekämpfen?
  • statt über Alli und Viagra über die teuren Monopol-Medikamente gegen Krankheiten wie AIDS zu reden, und eine Pharma-Industrie, die willig ist, in afrikanischen und asiatischen Ländern ganze Generationen sterben zu lassen, um ihre lukrativen Patente zu schützen?
  • statt industrieller 'Light'-Produkte irgendwas zu kaufen, was richtig gut schmeckt, dessen Zutatenliste auf dem Etikett richtig kurz ist?
  • nicht länger Selbstkasteiung als Pflichtbeitrag zur Volksgesundheit zu akzeptieren, sondern lieber zu hinterfragen, wer sagen darf, was 'gesund' ist, und wem die ganzen Privatisierungen im Gesundheitswesen wirklich nützen?
  • nicht joggen zu gehen, um abzunehmen oder 'schlank zu bleiben' (siehe oben), sondern lieber demonstrieren zu gehen, gegen Tiefbahnhöfe und mehr Kernkraft, für mehr direkte Demokratie und Bürgebeteiligung, oder meinetwegen auch umgekehrt?
Wir leben in interessanten Zeiten; in unserer Welt da draußen tut sich gerade wirklich etwas. Und statt dessen sollen wir (möglichst alle, und ganz besonders die Frauen) unsere formidable Energie darauf verschwenden, die (innere oder äußere) Deathfattie in uns zu bekämpfen? Vom Geld ganz zu schweigen?

Fat Acceptance geht auch um das Freisetzen gebundener Energien -- nicht der Energien im Körperfett durch Sport, sondern der mit dem Abnehmwahn beschäftigte Energien für wirkliche sinnvolle Projekte und Unterfangen -- von Hobbies über Kunstaktionen, Lebensfreude, die sich durch Kochen, Essen, Tanzen, Gärtnern oder Musik ausdrückt, Lesen und Bloggen, mit Katzen und Hunden spielen, mitdiskutieren bei dem, was man wichtig findet, und schließlich Aktivismus, Demonstrieren, Verbreiten von Ideen, Politik, Aufruhr. Und gerade die, die Familien haben, wollen doch ihren Kindern eine bessere Zukunft hinterlassen! Und gerade wir Frauen haben doch wirklich genug echte Probleme, weltweit, aber auch gerade noch hier in unserer ach so fortschrittlichen westlichen Welt! Es gibt so viel zu tun, von dem der Abnehmfasel nur ablenkt.

Und, fürchte ich, eben ablenken soll.

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sphingula04, Montag, 7. März 2011, 12:43
...ich dachte erst, ich wäre in einem furchtbar alten Beitrag gelandet - das "biggest loser"-Format geht doch dieses Jahr schon in die 3. Staffel, ist doch alles schon ein alter Hut! ;-)

Ansonsten bezweifele ich, dass Hobbies wie Gärtnern und Lesen per se "besser" sind als z.B. Joggen gehen. Einem echten Jogger geht es dabei nicht ums Abnehmen oder "schlank bleiben", sondern ums Laufen an sich, das "über die eigenen Grenzen hinaus wachsen", das "den Kopf frei laufen", einfach das Gefühl, wenn die kalte Luft an einem ultimativ klaren Tag in die Lungen strömt und man einfach "frei" ist. Außerdem lernt man seine Umwelt viel besser kennen, lernt neue Menschen und Dinge und Orte kennen, ... und ungesund ist es grundsätzlich auch nicht. Ich kenne da z.B. einen ehemaligen Allergiker mit Bluthochdruck, der - seit er läuft - keine Allergieprobleme mehr hat und keinen Bluthochdruck mehr (der vorher ohne Medikamente im Alltag sehr wohl zu spüren war). Und was meinst Du, wieviel Spaß es machen kann, z.B. mit einer kleinen Person auf dem Fahrrad neben sich durch die Gegend zu joggen und eben dieser kleinen Person die Welt zu zeigen, die sie später selbst auch einmal schützen kann...

xarminta, Montag, 7. März 2011, 16:35
Oh ja, gegen's Joggen an sich habe ich gar nichts -- Marianne Kirby z.B. joggt auch, ganz ohne Abnehmabsichten.

Ich meinte wirklich nur Sport als Kasteiung zum Abnehmen, à la 'Biggest Loser'. Und ich dachte, das sei die zweite Staffel; eine scheine ich ganz übersehen zu haben. Vorher hatte ich bei solchen Trailern einfach auf Durchzug gestellt. Jetzt stoßen sie mir unangenehm auf. "Ich mach' nicht mehr mit, macht euern Mist alleine" ist halt immer nur der erste Schritt. Irgendwann fangen die Stereotypen an zu nerven. Und ja, so ein Kleinkram ist wichtig. Ich finde es zum Beispiel gut, dass die Tiefkühlpizzawerbung nicht geht 'Papa kommt mit den Kindern von matschigen Abenteuern heim, Mama wartet mit der Pizza' sondern 'Papa kommt mit den Kindern von matschigen Abenteuern heim und macht für alle Pizza'. So Kleinkram hilft auch mit, entweder zu normalisieren oder aber im Gegenteil auszugrenzen.

Und ja, ich weiß dass so eine Trash-Show wirklich nur Kleinkram ist. Aber es nervt einfach.-

Und ansonsten weiß ich, was Du meinst -- ich würde zwar bestimmt nie joggen, aber manchmal gehe ich zu Fuß durch den häßlichen kleinen Vorort, in dem ich arbeite, anstatt den Bus zu nehmen (der ja manchmal Probleme hat, desgleichen die S-Bahn, die jetzt auch schon wieder das Streiken anfängt), und habe dabei die allerbesten Ideen. Ich führe es aber darauf zurück, dass das Ex-Dorf so langweilig ist, dass das Hirn zwangsweise irgendetwas anderes heraufbeschwört, um der Reizarmut zu entrinnen.

nazgulnr5, Mittwoch, 16. März 2011, 15:38
Öhm, nur ein kurzer Einwand zum Thema "Scheiße". Das ist in boot camps die übliche Anredeform, wie woanders Herr oder Frau Soundso. Egal, ob die geschundenen Gestalten nun vermeintlich Dicke, Soldaten, schwer erziehbare Kinder oder Business Fuzzis sind.

xarminta, Mittwoch, 16. März 2011, 21:49
Ich fürchte, ich habe noch äußerst wenige Boot-Camp- und andere Kinderlandverschickungssoaps gesehen...

Und ich glaube, ich habe auch keine besondere Lust drauf, irgendwas anzugucken, wo Leute -- egal was für Leute, selbst Business-Fuzzies -- dermaßen rüde beschimpft werden.