Samstag, 27. Oktober 2012
Wider-Widerspruch
(Und es geht endlich weiter mit dem ernsthaften Content...)

Wenn die Außenwelt mitkriegt, dass es so etwas wie 'Fat Acceptance' überhaupt gibt, kommen normalerweise ein paar Standard-Reaktionen zurück, entweder als Troll-Versuch, oder als ernsthaftes Missverständnis.

Eine Bloggerin hat die fünf meistgehörten/-gesehenen mal zusammengeschrieben.

Ich paraphrasiere das mal kurz:

5. Fat Acceptance bedeutet, keinen Sport zu treiben
Falsch, jeder hat die Wahl, mit seinem Körper zu tun, was er oder sie will. Ich persönlich treibe Sport, aber auch mir ist bewusst, dass HAES nur eine von mehreren Möglichkeiten ist und niemand verpflichtet ist, sich zu bewegen, um vorzuzeigen, 'guckt her, ich bin ein Good Fattie'.

4. Fat Acceptance ist nur für Frauen
Falsch. Während Frauen vom herrschenden Schlankheitswahn am schlimmsten betroffen sind und dicke Frauen sich ganz anders wehren müssen, ist das Leben für dicke Männer auch nich so viel besser; die Medien haben die Schraube in der letzten Zeit auch hier angezogen. Nach dem Prinzip der überkreuzenden und sich addierenden Privilegien, fehlt dicken Frauen thin privilege und male privilege, und dicke Männer haben wenigstens noch male privilege. Zur persönlichen Situation jedes Individuums addieren und subtrahieren sich dann noch allerlei andere Privilegien, straight oder white oder cis. Das ist ein Baukastensystem.

3. Fat Acceptance richtet sich gegen Dünne
Falsch. Aussagen wie 'echte Frauen haben Kurven' sind ebenfalls schädlich und diskriminierend. Es geht nicht darum, welche Körper okay sind und welche nicht, oder was Männer am liebsten an Frauen sehen. Fat Acceptance vertritt Mannigfaltigkeit. Ich habe in der letzten Zeit eine echte Verbündete gewonnen, ein sehr dünnes Mädel, das im Gesundheitswesen arbeitet und an ihrem Platz versucht, Vorurteile zu bekämpfen. Wenn man ihr Komplimente macht, was für eine schöne Figur sie hat, sagt sie, sie hätte viel lieber kein Irritable Bowel Syndrome (sie muss laktose- UND glutenfrei leben, was nicht trivial ist.)

2. Fat Acceptance 'glorifiziert krankhafte Fettleibigkeit'
Glorifying obesity ist so eine Art Standardphrase geworden, die inziwschen schon richtig nervt, wenn man sich doch mal wieder ins Kommentariat verirrt hat. Es ist nur eine Methode, möglichst hochgestochen zu sagen: "Aber aber aber, Dicksein ist doch ungesund und gehört bekämpft!", was inzwischen so grundlegend widerlegt ist, dass auch der Ursprungsartikel nur auf Linksammlungen von Linksammlungen zu verweisen braucht. Ich verweise jetzt mal auf den Ursprungsartikel.

1. Fat Acceptance macht es notwendig, die ganze Zeit das Selbstvertrauen und die positive Lebenseinstellung hochzuhalten
Falsch, aber sie warten nur auf den kleinsten Riss im Panzer, um sofort auf dich zu zeigen und das als Beweis zu nehmen, dass Fat Acceptance doch nichts taugt. Zeigt Beth Ditto den geringsten Selbstzweifel, schreibt die Presse, jetzt wolle sie doch abnehmen. Und das setzt sich bei uns ganz normalen Nicht-Promis fort. Meine Frauenärztin (selber dick, und hasst es -- langsam komme ich zu der Überzeugung, mit einer dünnen Verbündeten ist man im medizinischen Kontext besser dran als mit einer Dicken, die persönliche Energie in die Abnehm-Ideologie investiert hat) fand jetzt, ich sollte nur mit meinen, äh, Veränderungen im Lebensstil so weitermachen (der ganze Sport baut meinen Körper doch ein bisschen um, aber das ist eine Frage der Umverteilung und des 'incidental weight loss', wenn man von Selbsthass und Jojo-Diäten oder auch purer Stinkefinger-Haltung auf HAES umsteigt, als tatsächliches 'Abnehmen' -- meinen etablierten Setpoint habe ich irgendwann im Frühjahr wieder erreicht, und mit dem als gegeben trainiere ich nun freudig meine Muskeln und meine Geschwindigkeit), dann würde sich schon das, was sie dem 'Übergewicht' in die Schuhe schiebt, möglicherweise wieder einrenken. Dabei ist da das endgültige Urteil in der Huhn-Ei-Frage auch hier noch nicht gesprochen... Im Gegenteil ist Selbstakzeptanz jeder Art ein fortlaufendes Werk, das nie fertig wird, nicht zuletzt dank einer Öffentlichkeit, die nie aufhört, den Menschen zu erzählen, mit ihnen sei etwas falsch, und sie müssten diese und jene Produkte und Dienstleistungen in Anspruch nehmen, um das zu ändern. Jeder Mensch sieht sich ständig mit Ansprüchen und Erwartungen konfrontiert, denen er sich nicht gewachsen fühlen soll, und die es notwendig machen, das eigene Selbswertgefühl bewusst aufrecht zu erhalten.

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